Johann B. Kastner                    Kreuz-Erfindung und Erhöhung

1775 - 1841

                                                                            In der Mutter Erde stillem Schoße

Schläft das Samenkörnlein wie verstecket,

Bis der warme Frühlingshauch es wecket

Zu des neuen Daseins schönem Lose.

 

Also lag im Grab der göttlich große

Menschensohn als Leichnam ausgestrecket,

Nur mir Linnen ärmlich zugedecket,

Bis ihm blüht’ der Urständ Morgenrose.

 

Also lagst auch du, o Kreuz, verhüllet,

Das der Herr auf Golgatha getragen,

Ach, beschwert mit Fluch, Verachtung, Schande!

 

Doch gelöst sind deines Fluchesw Bande,

Deines Sieges Stunde hat geschlagen,

Und du glänzest hoch und ruhmerfüllet.

 

 

 

Johann B. Kastner                    Die Gesandten der Höfe in Wien

1775 – 1841                                                   (1834)

                                                        

Nach dem Entschluß der hohen Potentaten

Sind nun in Wien aus jedem deutschen Lande

Die Männer, um mit reichlichem Verstande

Sich über Deutschland’s Wohlfahrt zu beraten.

 

Ach! über Deutschland liegt ein dunkler Schatten!

Von Armuth und von Freiheits Fieberbrande

Sind schier gelöset des Gehorsams Bande.

An Noth und Frechheit kränkeln alle Staaten!

 

So gleicht denn Deutschland einem großen Kranken;

Um ihn herum, vertieft sind in Gedanken

Die Aerzte, ein Konsilium zu halten.

 

O möge doch der Himmel gnädig walten,

Auf daß sie gute Medizin verschreiben,

Um Noth und tolles Fieber zu vertreiben!

 

 

 

Johann B. Kastner                    Grabschrift auf H. Pfarrer Socher

1775 – 1841                                                   zu Kelkheim 1834

                                                        

An Socher starb ein alter Kantianer,

Ein Theolog von jener rechten Mitte,

Juste milieu genannt nach neuer Sitte,

Kein großer Freund der armen Franziskaner;

 

Ein steifer Rechts- und Sittlichkeitsermahner,

Den Pfarrern spendend, voller Herzensgüte,

Die Suppe Rumford’s, höfisch im Gemüthe,

Als Erdensorg- und Finsternißverbanner.

 

Die Kammer sah ihn oftmals paradieren,

Und hörte gern als Sprecher ihn parlieren.

Gewiß wird sie ihn auch kanonisieren!

 

Als ein Gelehrter hat er sich gewoben

Des Ruhmes Kranz; allein was wir hier loben,

Muß erst vor Gott als Gold sich noch erproben.

 

 

 

Johann B. Kastner                    Der stürmische Winter

1775 – 1841                                                   (1833/34)

                                                        

Sogar der Winter spielt den Liberalen,

Pflegt seine Backen trotzig aufzublasen,

Gleich Deputirten, wenn sie schrei’n und rasen

In frechen Reden und in Phrasen prahlen.

 

Man hört nur Brausen, Sausen, Tosen, Hallen.

Die Dächer steh’n beraubt der hohen Nasen.

Beim Heulen seiner Vettern und der Basen

Muß mancher Veteran des Waldes fallen!

 

So macht ein Narr wahrhaftig zehn der Narren.

Aus Frankreich ist die Narrethei gekommen,

Von dort der tolle Wind zu uns gefahren!

 

O Frankreich! nimm den tollen Wind zurücke

Sammt deiner Freiheit aufgestutztem Glücke,

Das lärmend über’n Rhein zu uns geschwommen!

 

 

 

Johann B. Kastner                    Die Geburt Jesu

1775 - 1841

                                                                            Christus ward geboren in dem Stalle,

Muß die Wohnung nehmen unter Tieren;

Arme Windeln sind es, die ihn zieren

Bei der Engelstimmen Freudenschalle.

 

Ach, der Himmelssohn im Thränenthale

Kann sich kaum in enger Krippe rühren!

er, dem Ehre, Lob und Preis gebühren

In des Vaterhauses Sternenhalle,

 

Er wird Knecht, damit er uns erlöse;

Er wird klein, zu schaffen unsre Größe;

Er wird nackt, zu kleiden unsre Blöße!

 

Als ein Kindlein zeigt er sich auf Erden,

Unterthan des Erdenseyns Beschwerden,

Daß wir mögen Gottes Kindlein werden!

 

 

 

Johann B. Kastner                    Christus,

1775 - 1841                                       der noch immer bei uns gegenwärtige

                                                        

                  Als Gottessohn noch wandelte hienieden,

Verbarg er freundlich seiner Gottheit Fülle.

Er ging herum in schwacher Menschenhülle

So lang, bis daß er war von hier geschieden.

 

Noch jetzt ist uns der Gottessohn beschieden.

Zu seyn bei Menschenkindern in der Stille

Ist seines Herzens Lust und ernster Willer,

Schafft unsern Herzen Trost und süßen Frieden.

 

Er wohnt bei uns im stillen Gotteshause;

Daß unsre Seele von dem Manna schmause,

Winkt er ihr aus des Tabernakels Klause.

 

Er drängt in dem geheimnißvollen Bilde

Zusammen seine Kraft und Gottesmilde

Für unsres Herzens lechzende Gefilde.